10. Juni 2022 Prof. Dr. med. Mathias Mäurer Therapie der MS
Dimethylfumarat wird in Deutschland unter dem Handelsnamen Tecfidera® von der Firma Biogen vertrieben, ist aber mittlerweile auch generisch erhältlich (s. MS-Docblog). Dimethylfumarat ist zur Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose bei erwachsenen Patienten sowie bei Kindern und Jugendlichen ab 13 Jahren zugelassen. Die Standarddosierung beträgt 2 x 240 mg/Tag. Zur besseren Verträglichkeit wird diese Dosierung durch langsames Eindosieren des Medikamentes erreicht. Für die Anfangsdosierung stehen daher Hartkapseln mit 120 mg zur Verfügung. Dimethylfumarat ist nach den Therapie-Leitlinien vor allem zur Behandlung von milden und moderaten Verlaufsformen der MS vorgesehen und ist aufgrund seiner einfachen oralen Anwendung ein beliebtes und häufig angewendetes MS-Medikament.
Die Fachinformation von Dimethylfumarat empfiehlt zwar keine Gabe während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht zuverlässig verhüten. Es existieren jedoch schon recht zuverlässige Registerdaten, die nahelegen, dass eine Exposition während der Schwangerschaft nicht zu Fehlbildungen oder Aborten führt. Daher gilt Dimethylfumarat auch aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit als ein gut geeignetes Präparat zur oralen MS-Therapie der milden und moderaten MS bei Frauen im gebärfähigen Alter.
Nebenwirkungen: Magen-Darm-Symptome, Flush
Insgesamt ist es Nebenwirkungsprofil von Dimethylfumarat überschaubar. Der problematischste Punkt sind sicherlich die Beschwerden des Magen-Darm-Traktes, die durch Dimethylfumarat insbesondere in der Anfangsphase der Einnahme hervorgerufen werden. Die Beschwerden werden als GI (gastrointestinale)-Nebenwirkungen zusammengefasst. Hierunter fällt eine Vielzahl von Beschwerden wie Übelkeit, Sodbrennen, Völlegefühl, Bauchschmerzen, Durchfälle etc. Diese Symptome treten bei bis zu 30 % der Patienten in der Anfangsphase auf. Sie sind auch die häufigste Ursache für das vorzeitige Beenden der Medikation innerhalb der ersten Monate nach Verordnung. Allerdings bessern sich die Beschwerden mit zunehmender Dauer der Anwendung. Nach einer Anwendung von 3 Monaten gaben in den Zulassungsstudien nur noch unter 5% der Patienten relevante GI-Nebenwirkungen an.
Eine gute Patientenbetreuung bei Erstanwendung ist daher bei Dimethylfumarat sehr wichtig und empfehlenswert. Dazu gehört neben der mentalen Unterstützung auch das langsame Eindosieren der Substanz, die Einnahme mit Nahrung und ggf. die Behandlung der Magen-Darm Symptome mit Medikamenten. Ist die Lebensqualität durch die GI-Nebenwirkungen trotz guter Betreuung dauerhaft beeinträchtigt, so stellt Dimethylfumarat im Individualfall wahrscheinlich keine geeignete Therapie dar. Ebenso häufig wie GI-Nebenwirkungen beklagen Patienten ein vorübergehendes Erröten der Haut, das auch als „Flush“-Symptomatik bezeichnet wird. Der Flush wird zudem häufig als Brennen der Haut oder als Hitzegefühl wahrgenommen. Auch die Flushsymptomatik lässt mit zunehmender Anwendung nach, sie hat sich auch insgesamt als weniger alltagsrelevant herausgestellt als die gastrointestinalen Nebenwirkungen. Sowohl bei den GI-Symptomen als auch bei der „Flush“-Symptomatik handelt es sich um prägnante Verträglichkeitsprobleme, die zwar unangenehm, aber aus medizinischer Sicht nicht gefährlich sind.
Differentialblutbild regelmäßig überprüfen
Problematischer ist eher der Abfall der Lymphozyten (eine Unterform der weißen Blutkörperchen), der bei vielen Patienten beobachtet wird, selten aber sehr ausgeprägt ist. Bei ca. 6-10 % der Patienten beobachtet man allerdings einen relevanten Abfall der Lymphozyten. Insbesondere die Patienten die relativ bald nach Einnahme ein deutliches Absinken der Lymphozyten auf Werte von unter 500/µl zeigen und wiederholt so niedrig gemessen werden, sollten die Therapie abesetzen. Aber auch bei einem Abfall der Werte unter 800/µl sollte kontrolliert und ggf. die Therapie überdacht werden.
In seltenen Fällen kam es nämlich unter Anwendung von Dimethylfumarat zum Auftreten einer progressiven multifokale Leukenzephalopathie (PML), einer opportunistischen Infektion mit dem JC- Virus. Derzeit sind 11 Fälle (Herbst 2021) bekannt, was angesichts von mehr als 500.000 mit Dimethylfumarat behandelten Patienten wirklich sehr gering ist. Die Mehrzahl dieser Patienten hatten allerdings vor Diagnose der PML eine lang anhaltende Lymphopenie, weswegen diese Blutbildveränderungen als relevant eingestuft werden. Dementsprechend sollte auch zu Beginn der Therapie das Differentialblutbild regelmäßig überprüft werden. Eine weitere Gemeinsamkeit der PML-Patienten war ein höheres Lebensalter, so dass Dimethylfumarat bei älteren Patienten (> 50 Jahre) eher zurückhaltend eingesetzt werden sollte.
Neben den regelmäßigen Kontrollen des Blutbildes empfiehlt sich in der Anfangsphase auch eine Kontrolle der Nieren und Leberfunktion, da in wenigen Fällen diese Laborwerte unter Einnahme von Dimethyfumarat Veränderungen zeigen können.
Insgesamt handelt es sich aber – abgesehen von den Verträglichkeitsproblemen – um eine medizinisch relativ unproblematische Substanz, die seit Jahren ihren festen Platz bei der Behandlung von milden und moderaten schubförmige MS Verläufen, insbesondere bei jüngeren und weiblichen Patienten, einnimmt.
Ein Kommentar
Ich nahm seit fünf Jahren Tecfidera und habe wegen der Magenproblematik auf Diroximelfumarat gewechselt. Dadurch wurden die Beschwerden deutlich weniger.
Bei beiden Präparaten hab ich jedoch nachts Mißempfindungen an den Beinen. Im Laufe der Nacht spüre ich ein deutliches Brennen rund um meine Fesseln, als würden meine Beine dort brennen. Äußerlich ist jedoch nichts zu sehen und zu spüren, d.h. die Haut fühlt sich nicht heiß an, wenn ich sie anfasse. Tagsüber spüre ich nichts davon. Kann das auch so eine Art von Flush sein? Haben andere Patienten ähnliche Erfahrungen gemacht?Freundliche Grüße
Bettina WolfAntworten
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Der Experte
Unser Experte und Blog-Autor Prof. Dr. med. Mathias Mäurer ist Chefarzt der Klinik für Neurologie und Neurologische Frührehabilitation am Klinikum Würzburg-Mitte, Standort Juliusspital sowie außerplanmäßiger Professor der Universität Erlangen.
Er habilitierte sich im Jahr 2004 mit einer Arbeit über die „Bedeutung und Interaktion von Immunzellen bei hereditären demyelinisierenden Erkrankungen des peripheren Nervensystems“.
Seit 2011 ist Prof. Mäurer Mitglied des Ärztlichen Beirates der AMSEL und schreibt seit 2015 für den MS DocBlog.
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